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München Geschichten Ursprung, Max

Dreimühlenstrasse 28, 80469 München

Nur wenig mehr als einige Lebensdaten bleiben, die an Max Ursprung erinnern werden. Nicht einmal ein Foto ist von ihm geblieben. Was wir von ihm wissen, stammt aus den Meldekarten der Gemeinden und aus den Unterlagen der Täter: Max Ursprung wurde am 9. September 1886 als Sohn des Glasermeisters Eduard Ursprung und dessen Ehefrau Marie, geborene Geitner, in Traunstein geboren. Er hatte eine zwei Jahre ältere Schwester Anna (geb. 9.4.1884), die später ebenfalls in München in der Valleystraße lebte und 1976 dort verstarb. Von Beruf war er Spengler.

Aus diesen Unterlagen geht außerdem hervor, dass Max Ursprung sehr häufig seine Wohnung wechselte. Er wohnte oft zur Untermiete, manchmal nur für wenige Tage oder Wochen, lebte in Freising, Rosenheim und Berlin und immer wieder in München. Seinen letzten eingetragenen Wohnsitz hatte Max Ursprung vom 01.11.1932 bis 30.04.1933 in der Münchner Dreimühlenstraße 28/II im Rückgebäude.

Max Ursprung geriet immer wieder in Konflikt mit dem Gesetz und wurde wegen „Sittlichkeitsverbrechen, Betteln und Waffenbesitz“ sowohl in München als auch in Straubing und Amberg inhaftiert. Hinweise, welcher Art diese „Sittlichkeitsverbrechen“ waren, geben Einträge auf der Einwohnermeldekartei: Dort ist eine Meldepflicht für Max Ursprung wegen „Homosexualität“ vermerkt. Der § 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, existierte vom 1. Januar 1872 (Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches) bis zum 11. Juni 1994. Unter den Nationalsozialisten wurde der Paragraf erheblich verschärft. Diese Verschärfung wurde auch im Nachkriegsdeutschland und bis ins Jahr 1973 beibehalten.

Erinnerungsstelle für Max Ursprung in der Dreimühlenstrasse 28 / Photo von Katrin Schäfer (Heutige Nachbarin)
Erinnerungsstelle für Max Ursprung in der Dreimühlenstrasse 28 / Photo von Katrin Schäfer (Heutige Nachbarin)

Unter dem Vorwand der Kriminalitätsbekämpfung gingen die Nationalsozialisten bereits früh scharf gegen Personen vor, die nachweislich mehrfach gegen Gesetze verstoßen hatten oder denen sie auch nur eine kriminelle Lebensweise unterstellten. Eine Rückkehr in die Gesellschaft war für diese Menschen nicht vorgesehen. Stattdessen sollten sie vorbeugend eingesperrt und auch über verbüßte Gefängnisstrafen hinaus inhaftiert werden. Die Schwere der Straftat war dabei nicht entscheidend; auch mehrere kleinere Vergehen konnten mit KZ-Haft bestraft werden. Oftmals reichte schon der Verdacht oder ein Gerücht aus, um inhaftiert zu werden.

Die Gruppe dieser Häftlinge, die mit dem grünen Winkel gekennzeichnet wurden, war dementsprechend gemischt. Unter ihnen gab es Mörder und Vergewaltiger, vor allem aber Zuhälter*innen, Einbrecher*innen oder Betrüger*innen. Zugleich zählten beispielsweise aber auch Frauen, die abgetrieben hatten, Personen, die aus Notlagen heraus kriminell gehandelt hatten, oder mehrmals verurteilte Homosexuelle zur Gruppe der „Berufsverbrecher“.

Generell unterschied man in den Konzentrationslagern zwischen Schutzhaft und Vorbeugehaft – zwei sehr verharmlosend wirkende Begriffe. Als „Schutzhäftlinge“ brachte die Gestapo ab Februar 1933 Menschen in Konzentrationslager, von denen aus Sicht der Nationalsozialisten eine vermeintliche Gefahr für „Volk und Staat“ ausging, so der Titel der sogenannten Reichstagsbrandverordnung. Dazu zählten vor allem politische Häftlinge, Homosexuelle, Juden und Zeugen Jehovas. Die Haftdauer war zeitlich unbefristet und es gab kein Gerichtsverfahren.

Häftlinge, die aufgrund vermeintlich oder tatsächlich sozial abweichendem Verhalten als „kriminell“ oder „asozial“ bezeichnet wurden, fielen hingegen in die Kategorie der „Vorbeugehäftlinge“. Hierunter fassten die Nationalsozialisten auch viele inhaftierte Sinti und Roma. Zuständig für die Verhängung der Vorbeugehaft war die Kriminalpolizei. Sie ging entweder gegen soziale Außenseiter*innen vor oder die Haft schloss direkt an die Entlassung aus einem Gefängnis an, obwohl die zu verbüßende Haftzeit abgeleistet worden war. Ein erster Vorbeugehafterlass gegen sogenannte Berufsverbrecher erging schon im November 1933. Eine reichsweit einheitliche Regelung der „polizeiliche Vorbeugehaft“ gab es ab Dezember 1937.

Erinnerungsstelle für Max Ursprung in der Dreimühlenstrasse 28 / Photo von Katrin Schäfer (Heutige Nachbarin)
Erinnerungsstelle für Max Ursprung in der Dreimühlenstrasse 28 / Photo von Katrin Schäfer (Heutige Nachbarin)

Die Kripo München berief sich wohl auf diese Regelung, und ordnete am 13.8.1938 die Schutzhaft für Max Ursprung an, der ins Gefängnis Neudeck in München gebracht wurde. Direkt von dort erfolgte am 14.9.1938 die Überstellung in das Konzentrationslager Dachau. Im Eingangsbuch des Lagers ist vermerkt, dass der Häftling 7062 Ursprung in der Baracke 1 / Stube 5 zugewiesen war.  In den Unterlagen der verschiedenen Konzentrationslager, in denen er inhaftiert war, wird er als ” V.H.” oder ” PSV” geführt, was die Abkürzungen für Vorbeugehaft und polizeiliche Schutzverwahrung waren.

Ursprung war nur sehr kurz in Dachau, da er bereits am 3.10.1938 nach Flossenbürg überstellt wurde. Von Flossenbürg wurde er am 05.07.1942 nach Stutthof, nahe Danzig, verlegt, wo er ab dem 8.7.1942 als Häftling 14913 inhaftiert war. Die Überstellungsliste des KZ Flossenbürg, in der die Häftlinge nach „Handwerksberufen“ sortiert waren, klingt wie eine Bestellliste.

Völlig entkräftet stirbt Max Ursprung am 12.10.1942 im Konzentrationslager Stutthof (EWK 65, U 385). Der Lagerarzt von Stutthof hält als Befund fest “Schwächlicher, alter Mann”, der an “Herz- und Altersschwäche“ verstorben sei. Max Ursprung war zu dem Zeitpunkt gerade einmal 56 Jahre alt.

Recherche und Text von Stefan Dickas

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