Berlin Geschichten Familie Meyer
Lyckallee 30, 14055 Berlin
Méa, Moritz und Theo Meyer konnten nur zwei Jahre in ihrem Haus in der Lyckallee im Berliner Westend verbringen. Entworfen und gebaut hat es der Berliner Architekt Fritz Marcus für sie – eine außergewöhnlich moderne Villa, angelehnt an den neuen Bauhaus Stil. Pamela Glanville, die Tochter von Meás Bruder Fritz Manasse, verlebte dort intensive Tage ihrer Kindheit. Pamelas Tochter Jo Glanville ist es gelungen, die Adresse und das Haus ausfindig zu machen und schließlich über Akten, die in der Entschädigungsbehörde von Berlin verwahrt werden, ein wenig Licht in die Zeit zu bringen, die der Familie verblieb.
Im Oktober 1933 fliehen die Meyers über die Schweiz nach Paris. Unmittelbar nach Kriegsbeginn werden Moritz und Theo von den französischen Behörden interniert. Es folgen Jahre unter falscher Identität in Vichy-Frankreich.
Méa überlebt als einzige der kleinen Familie die Verfolgung. Ihr Sohn Theo ist 23, als er in Auschwitz ermordet wird; Méas Ehemann Moritz stirbt an den Folgen der Haft in den französischen Lagern. Méa schafft es, in die Schweiz zu flüchten. Ihrem Entschädigungsantrag wird von den deutschen Behörden erst nach 10 Jahren mühevoller Korrespondenz entsprochen. Sie verbringt ihr weiteres Leben in Paris.
Die Dokumente, die Jo Glanville auf der Terrasse über dem Garten der Lyckallee ausstellte, zeigen das bürokratische Innenleben von etwas, das Reparation genannt wird – die Unzahl von Kategorien, unter denen ein Entschädigungsanspruch eingeordnet wurde, das schiere Ausmaß von Zeugenaussagen und eidesstattlichen Versicherungen, die für einen Antrag beigebracht werden mussten. Méa Meyer musste jeden einzelnen Schritt in ihrem Leben und während der Flucht ihrer Familie vor den Nazis belegen: So musste sie zum Beispiel nachweisen, dass ihr Sohn Theo wirklich die Universität besuchte und dass die Lager, in denen ihr Mann in Frankreich interniert war, tatsächlich existierten. Vielleicht das schrecklichste Dokument im Entschädigungsantrag der Mutter für den Verlust ihres Sohnes: Fünf Deutsche Mark wurden ihr schließlich als Entschädigung für jeden einzelnen Tag von Theo in Auschwitz zugesprochen.
In den Akten finden sich Details über die Lebensumstände und Orte, an denen die Familie sich während des Krieges befand, insbesondere über die Verhaftung von Theo und den Tod von Moritz.
Die ausgestellten Dokumente umfassen auch die „Administration“ von Theos Deportation vom Sammel- und Durchgangslager Drancy nach Auschwitz: NS-Telegramme, die den Transport anfordern und anordnen, wie die Häftlinge zu transportieren sind. Diese Telegramme zeigen die bis ins kleinste Detail ausgefeilte Methodik, mit der die Nazis jeden einzelnen Transport planten und durchführten.
Fritz Marcus, der Architekt der Villa in der Lyckallee 30, verließ Deutschland ebenfalls im Jahr 1933. Er fand Zuflucht zuerst in Spanien, ging von dort nach London und unterrichtete an der Central School of Arts and Crafts. In London gehörte Marcus einem Emigrantenkreis von deutsch-jüdischen Architekten an, unter ihnen Ernst Freund, der Sohn von Sigmund Freud.